A. Gąsior u.a. (Hrsg.): Erfolgreiche Einwanderer

Cover
Titel
Erfolgreiche Einwanderer. Künstlermigration im Ostseeraum in der Frühen Neuzeit


Herausgeber
Gąsior, Agnieszka; Trinkert, Julia; Fajt, Jirí; Hörsch, Markus
Reihe
Studia Jagellonica Lipsiensia (22)
Erschienen
Dresden 2022: Sandstein Verlag
Anzahl Seiten
304 S., 159 teils farb. Abb.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Wilhelmi, Nordost-Institut an der Universität Hamburg (IKGN e.V.), Lüneburg

Mit dem Titel Erfolgreiche Einwanderer weckt der Sammelband über „Künstlermigration im Ostseeraum“ das Interesse auf Beispiele gelungener Raumaneignungen und verspricht Antworten auf Fragen zu Assimilationspraktiken. „Erfolgreich“ wird, wie aus den 13 Beiträgen europäischer Kunsthistoriker:innen und Historiker:innen der frühen Neuzeit deutlich wird, verstanden als positive Migration, die Spuren künstlerischer Produktion in den Migrationsorten hinterlässt.

Der Sammelband beruht auf einem am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur im östlichen Europa (GWZO) begonnenen Projekt zur Frage „nach den Auswirkungen der komplexen kulturellen, politischen und ökonomischen Verflechtungen im Ostseeraum im Zeitalter der Nordischen Kriege auf die Kunst und Künstler“ (S. 7). Im Mittelpunkt steht die Ostsee als „Barriere und Kontaktzone“ (S. 7) in einer Zeit, die durch kriegerische Auseinandersetzungen geprägt war. In ihrer Einleitung zum Band gehen die beiden Herausgeberinnen, die Kunsthistorikerinnen Agnieszka Gąsior und Julia Trinkert, auf die Spezifika der Region ein und benennen die Kernfragen, die sie mit dem Thema Künstlermigration verknüpfen. Ausgehend davon, dass die Ostsee weniger als Barriere denn als Kontaktzone für die Anrainerstaaten zu sehen ist, die durch Handel und Diplomatie belebt wurde, fand über sie auch der Austausch von Kunst, die Migration von Künstlern, statt. Für den Untersuchungszeitraum benennen die Autorinnen insbesondere die militärischen Auseinandersetzungen um die Vormachtstellung im Ostseeraum im Rahmen der Nordischen Kriege, die diesen Raum nachhaltig prägten und den Boden für Migration schufen. Kriege hatten – so die Kernaussage der Herausgeberinnen – nicht nur eine zerstörende Wirkung, „sondern bedingten und beförderten gleichermaßen“ die Entwicklung der Künste (S. 7). Epidemien oder Hungersnöte wurden als weitere Faktoren für Wanderungsbewegungen ausgemacht.

Es sind jedoch nicht die Umstände, die Künstler dazu veranlassten zu emigrieren, denen im Buch nachgegangen wird. Der Fokus liegt darauf, den „künstlerische[n] Transferprozesse[n]“ nachzuspüren (S. 7). Es soll in Anbetracht der Raumgröße ein „differenziertes Bild“ erstellt werden, in dem Gründe, Ziele und die Art der Migration, sei sie temporär oder dauerhaft, sowie die gesellschaftliche Position und die Arbeitsbedingungen der immigrierten Künstler beleuchtet wird.

Dezidiert wenden Gąsior und Trinkert ihren Blick auf die Peripherie des Raumes; sie möchten ihren Blickwinkel weiten, weg von den künstlerischen Zentren wie Danzig oder auch weg von den dominierenden niederländischen Kunstakteuren.

Dieser Anspruch zeigt sich in der Vielfalt der Beiträge, in der auch randständigere Orte hervorscheinen. Zu den Territorien der heutigen baltischen Staaten konnte Krista Kodres mit einer Studie zur Migration nach Reval (Tallinn) anhand von Künstlerbiografien gewonnen werden; Rigas architektonische Entwicklung am Beispiel des aus Straßburg stammenden Stadtbaumeisters Rupert Bindschu gibt Anna Ancāne wider. Julia Trinkert wiederum widmet sich Johann Caspar Hindersins architektonischer Hinterlassenschaft als Hausarchitekt der Familie Dohna in Ostpreußen.

Auf die Bedeutsamkeit von Bildungsreisen nach Frankreich und Italien geht Stefanie Schuldt unter der Forschungsfrage nach kulturellen Austauschprozessen in ihrem Text zu dem (Nachwuchs-)Architekten Göran Josuæ Adelcrantz ein. Gemeinsam mit Pauline Wagenknecht und Peter Tångeberg werden sodann ergänzend die transkribierten Briefe von dem Schüler Tessins präsentiert. Auch in Konrad Ottenheyms Studie über Cornelis Floris und Hendrick de Keyser wird an die Architektur angeknüpft, hier jedoch als Vorlage für bildhauerische Impulse.

Dem Abschnitt zu den „Auswirkungen von Künstlermigration auf die Architektur“ folgt ein thematischer Block über die „Auswirkungen auf die Bildkünste“ beginnend mit Franciszek Skibiński, der Vernetzungspraktiken von Künstlern in Preußen vorstellt. Constanze Köster präsentiert den Maler Jürgen Ovens als Kunstvermittler zwischen Schleswig-Holstein und Holland. Rafał Makała untersucht die Attraktion des Stettiner Königshofs als Ort künstlerischen Austauschs. Die steigende Bedeutung der Bewandtnis Rigas und Kurlands als Migrationsziel von Bildhauern im Barock schildert Elita Grosmane.

Medailleure stellen eine andere Untersuchungsgruppe dar, die von Agnieszka Gąsior anhand der Biografie Sebastian Dadlers und von Ylva Haidenthaller zur Künstlerimmigration nach Stockholm vorgestellt werden. Mit dem letzten Beitrag wird die geografische Dichte des Bandes zugunsten einer spannenden Südausrichtung aufgelöst: Torsten Veit identifiziert Oberbayern als Herkunftsregion für die aus Wessobrunn stammenden Stuckateure, die in den Schlössern des heutigen Rundāle und Jelgava künstlerische Spuren hinterließen.

All denjenigen, die mehr über das Kunsthandwerk im Ostseeraum der frühen Neuzeit erfahren möchten, sei dieses aufwändig gestaltete, durch die reiche Bebilderung überaus ansprechende Buch mit ausführlichen Registern zum Nachschlagen empfohlen. Parallelen und Differenzen des Kunsthandwerks in den jeweils analysierten, oftmals auch auf spezifische Orte fokussierten Fallstudien werden aufgezeigt; den Verbreitungswegen von Kunst und Wissen der Zeit kann exemplarisch nachgegangen werden. In Anbetracht der Größe und künstlerischen Vielfalt des Ostseeraumes kann der Sammelband – dies liegt in der Natur der Dinge – jedoch nur Einblicke geben und zu weiteren Studien anregen. Möglicherweise erklärt sich daraus auch das Fehlen einer bilanzierenden Zusammenschau, in der Tendenzen zum Wanderungsverhalten, zur Migrationsmotivation (inwieweit spielten neben wirtschaftlichen Faktoren beispielsweise auch biografische Künstlernetzwerke und Ähnliches eine Rolle) oder gar zu infrastrukturellen Migrationsvoraussetzungen gebündelt aufgenommen werden.